Die historische Entwicklung des Taekwondo:

I. Von den Anfängen bis zum Ende des zweiten Weltkriegs und der Schaffung einer eigenständigen Disziplin „Taekwondo“:

Taekwondo, obgleich der Inbegriff koreanischer Sportkultur, ist jünger als vielfach angenommen: Erst 1955 manifestierte sich der offizielle Begriff „Taekwondo“, wobei seine Ursprünge jedoch weiter zurückzudatieren sind. Erste koreanische Kampfstile und Bewegungslehren entstanden bereits im Mittelalter – das Taekkyon und Subak. Korea als Ganzes sah sich kulturell stets Einflüssen seiner großen Nachbarn Japan und China ausgesetzt, entwickelte diese aber auch eigenständig weiter. Nicht anders verhielt es sich hier: Das japanische Okinawa-Karate – seinerseits von diversen chinesischen Stilen beeinflusst – wurde im Lauf der Zeit um spezifisch koreanische Elemente bereichert. Diese Vermischung ergänzte den geradlinigen japanischen Karate-Stil und fügte eine neue Dimension hinzu: Der neu entstehende Stil war wesentlich dynamischer, die Bewegungen fließend und zirkulär. Ein Großteil der Dreh- und Sprungtechniken, sowie die hohen Fußtritte sind genuin koreanische Beigaben.

Die historischen Einflüsse machten natürlich auch nicht vor dem unrühmlichen Kapitel der japanischen Kolonialherrschaft zwischen 1910 und 1945, dem Ende des zweiten Weltkriegs, halt. Die japanischen Stile Jiu-Jitsu, Aikido, Judo und das genannte Okinawa-Karate gelangten während dieser Ära zu einiger Popularität in Korea. Gleichzeitig übten und praktizierten viele Koreaner Kampfkünste als mögliche „unsichtbare“ Waffe im Kampf gegen die japanischen Fremdherren.

Nach dem zweiten Weltkrieg wollten die Koreaner freilich japanische Einflüsse möglichst tilgen – diese Entwicklung betraf auch das Taekwondo. Bis 1955 hatte es Kong Soo Do – bzw. Tang Song Doo geheißen, übersetzt schlicht das koreanische Analogon zu „Kara-Te“ – „leere Hand.“ Die Umbenennung erhielt zusätzliche Legitimierung durch die Tatsache, dass sich in der Zwischenzeit in der Tat beide Stile wesentlich auseinanderentwickelt hatten. Den „neuen“, koreanischen Elementen – hohe Beintechniken, Sprung- und Drehfiguren – wurde mehr und mehr Gewicht beigemessen. General Choi schließlich erfand und prägte das noch heute benutzte Chang-Hon-System. Bestehend aus 20 Übungsformen, den sog. Hyongs, löste es das alte, aus dem Karate übernommene Kata-System ab. Somit war der Übergang zu einem eigenständig-koreanischen „Taekwondo“ vollzogen.

II. Vom Schisma der Stile bis zur Moderne (etwa 1970-2010):

Die Entwicklung der Verdrängung japanischer Einflüsse und Schaffung eines eigenständigen Systems wurde bereits skizziert. Gleichwohl erfuhr diese in den 70er Jahren eine nochmalige Steigerung. Durch den neuerlichen Aufstieg Japans, das wirtschaftlich abermals zu einer pazifischen Großmacht herangewachsen war, fühlten sich viele Koreaner bedroht und reagierten mit antijapanischer Tendenz und Hervorhebung der nationalen und kulturellen Eigenständigkeit. Dies sparte selbstverständlich auch den Bereich der Kampfkünste nicht aus. Dem von General Choi geschaffenen Chang-Hon-System wurde eine zu große Nähe zum Okinawa-Karate vorgeworfen und Taekwondo zum koreanischen Nationalgut („Gukki“) erklärt, was jeden ausländischen (besonders japanischen) Einfluss zu einem Sakrileg werden ließ. Innerhalb Südkoreas kam es zum „Schisma“: Dr. Kim Un-Yong gründete den südkoreanischen Taekwondo-Verband (WTF) und entwickelte als radikale Abkehr vom Chang-Hon-System die Poomsae-Formen. Deren herausstechendes Merkmal war der völlige Verzicht auf zahlreiche traditionelle Formen, unter anderem weite Ausholbewegungen und tiefe Stellungen. Komplett neue Schrittfolgen und Formen wurden geschaffen, um das Taekwondo „rein“ national werden zu lassen. Ein weiteres Novum erfolgten die Wettkämpfe nunmehr im Vollkontaktstil, bei dem die Kontrahenten spezieller Schutzwesten bedurften. Das „klassische“ Taekwondo war kontaktlos gewesen. Derart wettkampforientiert, entledigte sich das „moderne“ Taekwondo auch aller für den Kampf als nicht mehr notwendig erachteter Formen. Die einstige Formenvielfalt wich einer radikalen Reduktion. Dabei spielte nicht zuletzt die Hoffnung auf eine erhöhe Verbreitung und Popularität des „modernen Taekwondo“ im Westen eine Rolle. So kam es zu einer paradoxen Entwicklung: war der moderne Wettkampfstil ursprünglich aus nationalistischen Motiven in bewusster Abgrenzung zum vermeintlich „japanisierten“ Chang-Hon-Taekwondo entwickelt worden, wurde er nun im Ausland verbreitet.

Damit einher ging eine Unterscheidung des Begriffsverständnisses von Taekwondo. Das moderne Taekwondo ist am besten als Kampfsport zu bezeichnen, während in der traditionellen Form der philosophisch-spirituelle Grundgedanke lebendig gehalten wird; Es lässt sich besser als Kampfkunst charakterisieren und sieht die permanente Übung und sukzessive Verbesserung als Hauptziel. Das koreanische Wort „Do“ – „der Weg“ steht symbolisch für das Anliegen der traditionellen Kunst des Taekwondo.

Das „moderne“ Taekwondo wurde hingegen auch politisch instrumentalisiert und von der autoritären Park-Regierung zur militärischen Körperertüchtigung gefördert. Somit verdrängte es zusehends die „traditionellen“ Schulen und wurde 1994 als olympische Volldisziplin aufgenommen, nachdem es 1988 auf den Sommerspielen in Seoul probeweise im Programm stand. Treibende Kraft war erwähnter Dr. Kim Un-Yong, der bis 2004 das Amt des Vizepräsidenten des IOC innehatte. Nordkorea, der ideologische Feind der Republik Korea, hielt ununterbrochen an General Chois Lehre fest und vollzog den Bruch zwischen den beiden Stilen nicht. Erst in jüngster Zeit macht sich auch im Süden eine Renaissance bemerkbar und finden wieder mehr Menschen Gefallen an den traditionellen Formen.

III. Spezifika des Kwon, Jae-Hwa Taekwondo:

Einer der berühmtesten und eindrucksvollsten Vertreter des althergebrachten, ursprünglichen Taekwondo ist Großmeister Kwon Jae-Hwa. Sein Verständnis der Kampfkunst ist am besten philosophisch zu nennen und beinhaltet eine ganze Lebensform – Charakterbildung, Ästhetik der Bewegungen und Haltung, Balance und Contenance, im Taekwondo wie allen sonstigen Lebenslagen sind die Säulen, auf denen die Lehre Großmeister Kwons fußt. Dagegen treten der reine Wettkampf oder gar aggressiver Straßenkampf zurück; Die Übungen sollen strikt ohne Kontakt verlaufen und den Respekt der Teilnehmer voreinander, somit mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander, ausdrücken. Das Taekwondo-Verständnis Großmeister Kwons zielt dahin ab, Körper und Geist aufzubauen, nicht zu schädigen.

Dabei bedeutet die Rückbesinnung am Traditionellen keineswegs Stillstand oder Stagnation. Im Gegenteil hat Kwon Jae Hwa im Verlaufe der letzten 45 Jahre seit 1965 „sein“ Taekwondo kontinuierlich weiterentwickelt und stets zeitgemäßen Möglichkeiten und Erfordernissen angepasst. Sowohl Verträglichkeit und gesundes Erlernen, als auch Effizienz sind Großmeister Kwon ein Anliegen, da die athletischen Gegebenheiten heutiger Sportler sich im Laufe eines halben Jahrhunderts wesentlich verbessert haben, wurden neue Formen, wie etwa 540°-Sprünge, ins Lehrprogramm aufgenommen.